ATELIERPORTRÄT

SANDRA GALAVIZ

WAS MACHT FRAU, WENN SIE MIT 34 PLÖTZLICH KEINE WORTE MEHR HAT?

SIE MACHT: REVOLUTIONÄRE BIO-MATERIALENTWICKLUNG.

Sandra Galaviz

Geboren_1981 in Chihuahua, Mexiko

Macht_Biotextilien aus Bioabfall_in der Experimentierphase

Ziel_Entwickeln von 100 % heim-kompostierbaren Biomaterialien_ Finden von Anwendungen

Antrieb_Liebe zur Natur_ Unbändige Neugierde_Weitergabe von Wissen

Wünscht sich für ihr Biz_Co-neugierige Partnerinnen in Mode, Schmuck und Design_Lieferanten für Apfelreste und Essigmutter_Förderungen

Mag am Werksalon_Kreativität_

Unterstürzung und Motivation durch Kolleg*innen

Im Werksalon seit_2018

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Revolutionäre Bio-Material Entwicklung.

(Eine Liebesgeschichte)

Ohne ein Wort Deutsch kommt Sandra 2015 in Österreich an. Die anfängliche Sprachlosigkeit wird zur Quelle der Kreativität. Sie schöpft daraus neue Ausdrucksmöglichkeiten und Businessideen. Heute hat sich die Wahlwienerin die deutsche Sprache längst zu eigen gemacht. Sie ist mitten in der Unternehmensgründung und entwickelt cradle-to-cradle Biomaterialien.

Von Mexiko über Seewalchen nach Linz. Und beinahe wieder zurück.

In Guadalajara, Mexiko, betreibt Sandra als ausgebildete Innenraumdesignerin ein Geschäft für Vintage Möbel & Mode. Das ist alles viel einfacher umzusetzen in Mexiko! Es ist 2015 und ein gewisser Stefan aus Strasswalchen taucht auf. Change of Lebensplan und auf ins Salzkammergut. Dort erlebt Sandra einen veritablen Kulturschock: Super schöne Gegend. Aber: No language, no contacts, no job opportunities. Ohne Worte ist es sehr anstrengend, mich wieder zu finden. In einer neuen Heimat. Wer bin ich, wenn ich es nicht beschreiben kann? Und wie zeige ich es anderen? Weiter also nach Linz in der Hoffnung, mehr und vor allem sich zu finden. Fehlanzeige. Sandra hat an diesem Punkt innerlich mit Österreich abgeschlossen. Aber, ohne je die Hauptstadt Wien zu sehen? Wäre vor der Verwandtschaft peinlich. Also Wohnung und Stefans Job in Linz gekündigt und in Wien neue Zelte aufgeschlagen. Zögern ist des Paares Modus Operandi nicht.

Biomaterial-Entwicklung

Biomaterial von Sandra Galaviz

Wien ist anders. Kunst ist Therapie.

Und es ward super in der Hauptstadt. Von Anfang an. Wir schreiben das Jahr 2018. Grün! Offen! Interkulturell! Ein sofortiges Zu-Hause-Gefühl, beschreibt Sandra unsere Stadt. Kurz darauf steht sie im Werksalon, den sie schon von Linz aus online erspäht und für cool befunden hat. Ist er tatsächlich. Der Atelier-Arbeitsplatz wird bezogen. Die Sehnsucht nach Kreativem ist nicht mehr zu bändigen. Bei der Karrieremesse entdeckt Sandra eine Kunsttherapieausbildung für sich und wird Kreativtrainerin. Heute meint sie rückblickend und lachend: Diese Seminare haben mich geheilt. Ich wusste wieder, wer ich bin. Dass ich das Schöpferische zum Beruf machen will. Nachsatz: Und dass ich keine Therapeutin werde.

Zeit zum Experimentieren! (Andere nannten es Lockdown.)

Dann kommt die Pandemie. Und für Sandra damit viel Zeit. Zeit, Onlinekurse von internationalen Künstlerinnen zu absolvieren. Schwerpunkt: Botanical Prints. Zeit, auszuprobieren, zu sammeln. Und ihre extreme Neugierde auszuleben. Die Küche des Paares ist voll Pflanzen und Blättern. Darf man das essen oder arbeitest du damit? ein oft gehörter Satz. Sobald Reisen wieder möglich ist, recherchiert Sandra in Mexiko. Natürliche Wollfärbemethoden in Oaxaca, die dort seit Generationen für Wandteppiche und Kleidung angewandt werden. In Mexiko Stadt inspiriert und lehrt Edith Medina, eine Biologin und Künstlerin, zu Biomaterialien und Biomode. Diese Fusion des ökologischen Ansatzes mit Kunst fühlt sich für mich absolut richtig an. Natur ist für Sandra immens wichtig. Seit der Kindheit am familieneigenen Bauernhof mit Äpfeln, Marillen, Rosen, Mais und Bohnen. Alle meine besten Erinnerungen sind draußen!

Der Stoff, aus dem revolutionäre Träume sind: Bioabfall.

Zurück in Wien erreichen Sandras Experimente ein neues Level. Jetzt geht es um nichts weniger als die Revolution von textilen Materialien hin zu absoluter Nachhaltigkeit. Um das Finden eines 100 % umweltfreundlichen Stoffes, der gut verarbeitbar ist und nach seinem Verwendungsleben zu Hause kompostiert werden kann. Betonung auf: zu Hause. Als Naturliebhaberin will ich Textilien mit einer leder-ähnlichen Haptik, die umweltfreundlich sind. Von Anfang an bis zu ihrem absoluten Ende – auf meinem Komposthaufen. Das gibt’s noch nicht. Denn das Textillabel ‚kompostierbar‘ bedeutet an sich immer ‚industriell kompostierbar‘. Somit in einer Industrieanlage mit hohen Temperaturen und entsprechenden Anfahrtswegen. Sandra arbeitet mit Gelatine, Essigmutter, Agar-agar und vor allem Bioabfall. Wendet gelernte Formeln an, entwickelt zunehmend eigene. Bisschen bei bisschen gewinnt sie das Gespür für die Eigenschaften von Blättern, Algen und Zutaten formerly known as Bioabfall. Ihre Ausbildungsschwerpunkte in Naturwissenschaften und Wirtschaft in der Schule und an der Uni in Mexiko helfen. Doch Sandras wichtigste Ressourcen sind – neben Bioabfall: Ein riesiges Herz für die Natur kombiniert mit ebensolcher Neugierde: Was ist der nächste Schritt? Was lässt sich damit noch machen?

Wanted: Fragen und Kooperation

Noch kenne ich nicht alle Eigenschaften, die Biomaterialien erreichen können. Um das zu schaffen, brauche ich Herausforderungen. Konkrete Fragestellungen! Damit ich mich auf die Suche nach Antworten machen kann. Je offener Produktentwicklerinnen, Künstler und Designerinnen auf neue Materialien zugehen. Je stärker sie Wert legen auf nachhaltige Transparenz: Was passiert am Ende der Produktlebenszeit – ist es abbaubar? Wie ist es abbaubar? Desto schneller kann Sandra – und andere – die besten Stoffe und Materialien der Zukunft entwickeln. So wie die Produktdesignerin, die mit Sandra an einem Rucksack arbeitet. Oder die technische Institution, die gerade erforscht, ob Sandras Material zum Lasern geeignet ist. Sandra ist für alles offen. Auch fürs Weitergeben. Sie stellt ihre Rezepte teils als Open Source zu Verfügung. Teilt ihr Wissen in Workshops. Will zeigen, wie einfach es ist, Biotextilien aus Bioabfall selbst zu machen.

Safe Space Werksalon

My tribe! nennt Sandra ihre Werksalon Community. Neugierig wie ich, kreativ und unterstützend. Quasi therapeutisch wirkt auf sie Unternehmertum zum Angreifen. Am Nachbartisch. Ungefiltert, inspirierend und motivierend. Die Entwicklerin im Gründungsprozess fühlt sich gestärkt. Selbstständige Unternehmerin sein ist auch für mich möglich, denke ich dann. Die haben das schon geschafft. Die schaffen das jeden Tag! So wie Atelier-Kollegin Özlem Turan, mit der Sandra mittlerweile gemeinsam selbst produziertes, biotextiles Material testet und weiterentwickelt. Auf Textur, Flexibilität, Farbe und Verarbeitbarkeit. Und die anderen Werksalon Kolleginnen und Kollegen aus vielfältigen Bereichen? Sammeln fleißig Bananenschalen und Apfelputzen für die bevorstehende textile Revolution.

Kontakt: www.sandragalaviz.com/

Dieses Portraits ist im Jahr 2023 in Zusammenarbeit mit zwei weiteren wunderbaren Werksalon Kolleg*innen entstanden.

Gespräche geführt, Fragen gestellt und in Worte gefasst, wurde all das von Barbara Windisch https://www.funkelrot.com. 

Ins Licht gerückt und bildlich eingefangen hat Foto- und Videograf Zeia Rahimi https://www.gurgpro.com

Bioplastic Sandra Galaviz